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Mythen zur Forderung nach Lohnverzicht
Österreichs Wirtschaft steckt in einer Krise. Stimmt! Die Industrie hat das Patentrezept schnell gefunden: "Lohnzurückhaltung". Falsch! Damit hängt man nicht nur die Lösung des Problems den Arbeitnehmer:innen um, sondern gibt ihnen über die vermeintlich hohen Löhne auch gleich die Schuld für das Problem.
Die österreichische Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise: 2023 war ein Rezessionsjahr, 2024 verschärfte sich die Lage noch, und auch für 2025 wird eine weitere Schrumpfung prognostiziert. Nun empfehlen unternehmernahe Expert:innen dringend Lohnzurückhaltung. Das ist eine beschönigende Umschreibung für: Die Arbeitnehmer:innen sollen die Wohlstandsverluste, die wir gerade erleben, weiter alleine schlucken. Konkret dominieren zwei Mythen in der aktuellen Debatte um Lohnzurückhaltung und damit Reallohnverlust.
Mythos #1 „Arbeitnehmer:innen waren die großen Gewinner der aktuellen Teuerungskrise“
Die Realität sieht anders aus: Die Löhne konnten in vielen Branchen nicht mit der Inflation Schritt halten. Beschäftigte haben reale Einkommensverluste erlitten, während Unternehmensgewinne in zahlreichen Sektoren kräftig gestiegen sind. Ein Blick in den Einkommensbericht der Statistik Austria zeigt: Arbeiter:innen haben netto zwischen 2021 und 2023 ein Lohnminus von satten 4 Prozent hinnehmen müssen, öffentlich Bedienstete sogar ein Minus von 4,9 Prozent.
Tatsächlich waren es oft die Unternehmen, die Preiserhöhungen überproportional an Konsument:innen weitergaben und dadurch deutlich profitierten. Bei den Energiekonzernen, in der Bauwirtschaft, der Landwirtschaft, im Lebensmittelhandel, in der Gastronomie: Überall drehte sich die Profit-Preis-Spirale. Heißt: Die Konzerne wollten im Windschatten der Krise so viel abcashen wie möglich und drehten die Preise weit höher als es die gestiegenen Energiepreise verlangt hätten.
Ein guter Teil der Preisexplosion war hausgemacht und hatte nichts mit teurem Gas aus Russland zu tun. Daten der Europäischen Zentralbank wie auch der Österreichischen Nationalbank zeigen deutlich: Die Konzerne heizen die Inflation mit übermäßigen Preissprüngen an.
Hinzu kommen Versäumnisse der letzten Regierung, durch gezielte Preiseingriffe die Inflation zumindest zu dämpfen. Im Ergebnis mussten Mieter:innen nicht nur höhere Energiekosten, sondern auch an die Inflation gekoppelte Mietsteigerungen schultern. Und diese Mietsteigerungen sind permanent, während Einmalzahlungen zum Teuerungsausgleich eben nur einmal ausgezahlt wurden.
Genau jene Experten, die jetzt niedrigere Einkommen fordern, blockierten zuvor jedoch zentrale Maßnahmen gegen die Teuerung. Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO, warnte etwa vor Preisdeckeln, Mietbegrenzungen oder Steuererleichterungen auf Lebensmittel. Das Ergebnis dieser wirtschaftspolitischen Untätigkeit: Österreich kam schlechter durch die Krise als Länder, die aktiv gegen Preissteigerungen vorgingen. Und gerade Menschen mit niedrigeren Einkommen, die größtenteils in Mietwohnungen leben, waren besonders stark betroffen.
Mythos #2 „Hohe Löhne schaden der Wirtschaft“
Die hohen Lohnkosten in Österreich behindern die wirtschaftliche Entwicklung. Versuchen wir diese Aussage zu hinterfragen. In der Industrie machen Lohnkosten nur rund ein Fünftel der Gesamtkosten aus. Wifo-Ökonom Benjamin Bitsche verweist zudem darauf, dass von 2010 bis Mitte 2024 die Bruttowertschöpfung je Stunde in der Gesamtwirtschaft um 70 Prozent gewachsen ist, während die Löhne nur um 55,5 Prozent gestiegen sind. Den Unternehmen wurde damit gesamtwirtschaftlich ausreichend Spielraum für Gewinne und Investitionen gelassen.
Insbesondere die Industrie hat lange von einem Lohnverhandlungssystem profitiert, das sich an der gesamtwirtschaftlichen Produktivität orientiert und nicht an der höheren Industrieproduktivität. Statt jetzt einseitig Lohnzurückhaltung zu fordern, wäre es an der Zeit, Fragen nach verschlafenen Innovationen und versäumten produktivitätssteigernden Investitionen zu stellen.
Außerdem: Industriezweige mit vergleichbar hohen Löhnen zeigen ganz unterschiedliche Ergebnisse – manche prosperieren, andere kämpfen mit Problemen. Hohe heimische Energiepreise und die Krise der Autoindustrie in Deutschland belasten die Wirtschaft deutlich stärker als die Löhne. Beim Unternehmen KTM beispielsweise liegen die Probleme klar bei Managementfehlern, nicht bei der Lohnhöhe. Auch die Schwierigkeiten im Bausektor resultieren aus hohen Zinsen und dadurch sinkenden Immobilienbewertungen – nicht aus zu hohen Löhnen.
In Deutschland gab es bereits den Versuch einen Niedriglohnsektor zu bilden. Diese Programm (Hartz IV) wurde unter Druck der Arbeitgeber von Bundeskanzler Schröder eingeführt. Das Programm sah vor, dass Löhne auch unter dem Minimum bezahlt werden konnten und der Staat stockte den Rest bis zum Minimum auf. Die Wirtschaft argumentierte, dass die niedrigen Lohnkosten zu mehr Beschäftigten führen werden und es so zur Vollbeschäftigung kommen wird. Doch was ist passiert? Die Inlandsnachfrage brach sofort ein, da die Leute einfach kein Geld für Konsumgüter hatten. In der Exportwirtschaft wurde nicht in notwendige Maschinen investiert da sich diese Investitionen wegen der billigen Arbeitskräfte nicht rechneten. Langfristig niedrige Löhne hemmen auch die Produktivität, da sie Unternehmen den Anreiz nehmen, in Innovation und Effizienzsteigerungen zu investieren und genau diese Investitionen fehlen dann der Wirtschaft wieder als Einnahmen. Der Kreislauf wurde also nachhaltig unterbrochen. Die Auswirkungen dieser gut gemeinten, aber aus heutiger Sicht falschen Maßnahmen, sehen wir bis heute.
Kommt eine Nulllohnrunde – ein schaurig-schönes Wort für “Es gibt keinen Cent mehr!” –, dann bleibt den 3,77 Millionen Beschäftigten in Österreich weniger Geld im Börserl: Denn die Preise steigen weiter. Wenn die Löhne und Gehälter nicht mitwachsen, dann ist das ein beträchtlicher, realer Lohnverlust. Geld, das nicht nur die Menschen brauchen – sondern auch die Wirtschaft, der sonst die Luft ganz auszugehen droht.
Eine tiefe Wirtschaftskrise kann man nicht mit Lohnkürzungen bekämpfen. Damit verschärft man sie. Höhere Löhne unterstützen somit die Konjunktur und stärken den Binnenmarkt. Faire Lohnverhandlungen nützen also nicht nur dem Einzelnen, sie helfen der Gesamtwirtschaft.